Immer nur auf Vorfälle und Impulse von außen zu reagieren ist kein Regieren. Regieren bedeutet Zukunftsvisionen entwerfen, auf Gesellschaftswissenschaftler, Philosophen und andere Experten hören, die sich mit Gesellschaften auskennen, Pläne machen, umsetzen und gestalten. Und das alles transparent und nicht im Hinterzimmer und unter möglichst umfassender Beteiligung der Betroffenen. All das ist mit Merkels Qualifikation „Atomphysik“ offensichtlich nicht möglich und ihre christlichen Parteien unterstützen sie. Besonders peinliche Momente und Situationen gibt es zuhauf. Eine von vielen war die recht lächerliche und höchst peinliche Äußerungen der CDU-Mitglied*in und Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Maria-Antonia Karliczek bei ihrer Antrittsrede, in der sie forderte, dass Wissenschaft fest auf dem Fundament der christlichen GLAUBENslehre stehen müsse. Selbstverblendete Hybris und Leugnung von Logik und klarem Menschenverstand oder einfach nur Dummheit und Ignoranz? Was ist das? Was bleibt dann noch? Beten?
Sechzehn Jahre nahezu Stillstand in allen gesellschaftlichen Bereichen ist die Quintessenz von Nicht-regieren. Merkel hat die Aufgabe des Bundeskanzlers (Amtsbezeichnung), die Richtlinien der Politik zu bestimmen, nicht wahrgenommen. Wortgetöse („Klima-Kanzlerin“, „Digital-Kanzlerin“, „Bildungs-Kanzlerin“ usw.) ersetzte tatkräftiges leidenschaftliches Handeln. Allenfalls lieh sie mal Bankvorständen (Josef Ackermann!) und Wirtschaftsbossen ihr Ohr. Die Christen-Parteien treffen sich scheinbar auch gern heimlich mit den wahren Mächtigen (siehe auch Horstis Geheimzirkel mit großen Einflussnehmern auf die Partei; sprich: Spendern).
Jetzt in der ersten wirklichen Krise zeigt sich, worum sie sich nicht gekümmert und was sie alles nicht gemacht hat. Aber dem deutschen Michel war es recht: „Keine Experimente!“ „Alles so lassen, wie es ist.“ „Lieber nicht regieren als schlecht regieren.“ Upps! Wer hatte das denn gesagt? Ach ja, der Herr Worthülsen-Drechsler Christian Lindner von der FDP, der die Frau Teuteburg entsorgte, weil sie ihm als Frau zu aufmüpfig war? Wenn man nicht regiert, kann man auch keine Fehler machen, muss gar nicht handeln, nur plappern.
Was sind das für christliche Parteien, die sich scheinbar doch allzu offensichtlich nicht an einige grundlegende christliche Gebote halten (Nächstenliebe, Selbstlosigkeit usw. usw.), stattdessen lieber einigen anderen christlichen Vorlieben und Haltungen folgen und z.B. gern auch missionieren (siehe z.B. die Kreuzzüge), Frauen unterdrücken (siehe z.B. die Hexenverbrennungen), Jahrtausende lang Kinder missbrauchen. Ach die Liste der Schandtaten der Heuchler und Manipulatoren ist ja nahezu endlos, und doch folgen so viele Menschen immer, vermutlich aus Angst – ach ja, die Hölle haben sie ja auch erfunden und differenziert die sadistischsten Höllenqualen im Detail beschrieben – diesen Führern, weil sie die Angst vor der Freiheit und der Selbstverantwortung womöglich noch mehr ängstigt. Dann doch lieber beten.
Nichthandeln heißt nicht, nichts falsch machen zu können. Wo handeln notwendig ist, ist Nichthandeln selbstverständlich falsch.
Hintergrund
– Brost, Marc/ Simmank, Jakob 2021: Suchbild ohne Chefin. Eigentlich wusste man früh, wie die Corona-Krise zu bewältigen war. Aber die Kanzlerin hat die Chance verpasst. In: DIE ZEIT Nr. 13 vom 25.03.2021, Seite 3
– DPA 2021: Weniger Sozialwohnungen.“ Bundesweit schrumpfte der Bestand [an Sozialwohnungen allein von 2015-2019] um rund 14 Prozent“. In: SZ Nr. 82 vom 10.04.2021, Seite 7
– Ehmke Carolin 2021: Es ist ernst. „Politische Entscheidungsträger sprechen, als seien sie nur distanzierte Beobachter“. In: SZ Nr. 82 vom 10.04.2021, Seite 5
– Mayr, Anna 2021: Im Land der schweren Geburten. Wer erst jetzt in der Pandemie von Staatsversagen spricht, hat offenbar vor massiven Ungleichheiten die Augen verschlossen: In Deutschland werden seit Langem viele Menschen mit ihren Sorgen allein gelassen. In: DIE ZEIT Nr. 15 vom 08.04.2021, Seite 8