Wo liegt der Ursprung von arm und reich? Für einfache Gemüter und Ideologen ist die Frage einfach zu beantworten: Die einen sind faul, die anderen fleißig. Basta. Würde man nur die Armen „irgendwie“ beseitigen, manche wollten sie tatsächlich töten lassen, dann gäbe es nur noch Reiche. So sieht die obendrein falsche Übertragung des Märchens, des Mythos, der Legende vom Schlaraffenland aus. Auch Friedrich Merz hängt irgendwie an dieser Lüge mit seiner Forderung, alle sollten sich doch nur Aktien möglichst über, bei und von BlackRock kaufen, und verbreitet sie gebetsmühlenartig wie eine Religion. –
Eine Antwort auf unsere Frage nach Arm und Reich liegt sicherlich in der nachweisbaren, gewalttätigen Inbesitznahme von Land, weltweit.
Nicht nur in Amerika, wo europäische Siedler die dort heimischen Menschen mit Schusswaffen ermordeten und später mit aus Afrika mit Gewalt entführten Menschen dieses Land ausbeuteten, pardon, bestellten. Als Logstik-Unternehmen diente damals die europäische Christliche(!) Seefahrt.
Nach diesem Muster sind Menschen über Jahrtausende aus allen Regionen der Welt ausgezogen und haben, dort wo sie das Land besitzen wollten, gesagt, das ist jetzt meins. Ein Streit-Thema nicht nur in Israel. Und wenn du mir das streitig machst, dann bringe ich dich um.
En passant, in Amerika darf man heute immer noch ungestraft jemanden erschießen, der unerlaubt ein Grundstück betritt. Soweit zur Archaik dieses Landes auf dem Weg zu einer hoffentlich humaneren Gesellschaft.
Georg Washington, der erste amerikanische Präsident, so schreibt Jedediah Purdy in ihrem Buch, habe 250.000 Morgen „gestohlenes“ Land vererbt. Und Donald Trumps Vermögen stammt ja bekanntlich von seinem Papa und aus eigenen Spekulationen mit Immobilien. „Wer am meisten für sich aus der Erde herausholt, hat auch ein Recht auf sie.“ Darin sieht Purdy eine der Säulen, auf denen der koloniale Kapitalismus errichtet wurde. En passant, der größte Grundbesitzer der Welt ist die Kirche.
In Amerika geht der Unterschied zwischen der überwiegend armen schwarzen Bevölkerung und vielen Weißen auf die unterschiedliche Landergreifung zurück. Heutzutage besitzen 40% der Schwarzen ein Haus, aber ca. doppelt so viele Weiße. Die materielle Kluft sei längst zu einer ideologischen geworden, so Purdy. Ein Merkmal der amerikanischen Demokratie und vermutlich auch anderer seien die diese krassen Unterschiede und heftigen materiellen Konflikte. Überdeckt werden diese von der Litanei der „Staatsreligion“, die propagandistisch in Endlosschleife die Ideologie, den Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär wiederhole. Jeder könnte reich sein, wenn er nur fleißig wäre, und dann wären alle Konflikte beseitig und es herrsche Einigkeit.
Landnahme, ein Faktor der Ungleichheit.
In Deutschland liegen jetzt zahlen vor, die bestätigen, dass selbst in der Pandemie die Reichen reicher geworden sind. Wie das? Ein Grund liege im Immobilienboom. Wer Grundbesitz hat, der wird reicher, ohne etwas dafür tun zu müssen. Wertsteigerung im vergangenen Jahr: 7%. Aber der zunehmende Reichtum wird selbstverständlich als das Ergebnis der eigenen Leistung kaschiert und gefeiert. In den USA bist du nur jemand, wenn du reich bist. Ein Insignium dafür, dass du was kannst und Erfolg hast.
Den Exkurs über die Mehrwertaneignung in industriellen und postindustriellen Gesellschaften soll an anderer Stelle geführt werden. Hierzu empfehle ich Das Kapital Band 1-3 von Karl Marx, die tägliche Lektüre des Handelsblattes und der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Für den Anfang.
Mit der Corona-Pandemie hat sich die Schere zwischen Armen und Reichen in der Welt wieder weiter geöffnet. Wer arm ist, wird schneller krank und stirbt auch früher. Das ist belegte wissenschaftliche Erkenntnis. Armut schließt ebenso von Bildung aus.
Wenn ein deutscher Manager von BlackRock Kanzler werden will, der massiv in das Horn bläst, jeder könne reich werden, wenn er Aktien kaufe, dann wirft das die Frage auf, ob diese Art der Volksverblödung und Demagogie nicht unter das Strafgesetz fallen sollte. Die uralte Litanei der Puritaner, einer besonders dogmatischen Gruppe von Religiösen, dass weltlicher „Erfolg“ eine Belohnung Gottes sei, entspringt der gleichen Ideologie, die Selbstbereicherung auf Kosten anderer als eine Lebensaufgabe beschreibt.
Auch in vielen anderen Religionen und auch in der „Staatsreligion“ Chinas findet sich dieser Mythos wieder. Von einigen Menschen anschließend praktizierte Mildtätigkeit dient dann nur noch als Feigenblatt und heimliche Widergutmachung gegen das eigene schlechte Gewissen. Es dominiert der GLAUBE an die sogenannten MÄRKTE. Dieser Glaube hat, befeuert von nationalistischen Demagogen, die einen Kampf gegen die sie steuernden Eliten heucheln, das Wissen um die großen Vorteile von Solidargemeinschaften, in denen eine klare Vorstellung vom Gemeinwohl geteilt wird, verdrängt.
Nur ein breiter Diskurs über den Wert der Gerechtigkeit eröffnet Denk- und Handlungsräume darüber, wie wir als Menschen miteinander leben wollen. Selbstbezogen, egoistisch, ausbeuterisch oder gemeinschaftsbezogen, solidarisch, den Mitmenschen wertschätzend.
So, und jetzt die Frage, wo die Kirche steht, also allen voran die Katholische. Und wir kennen viele Parallelen in ähnlichen anderen „Gemeinschaften“. Die Kirche „ist eben eine sehr irdische Institution, eine Männerwelt. Geld, Macht, Sex.“, schreibt Emiliano Fittipaldi, „Die Diskrepanz zwischen dem, was man gemeinhin vom Vatikan erwartet, und dem, was wirklich ist, ist immens.“ Millionen aus dem Spendentopf flossen in Luxusimmobilien in London, in Fonds auf Malta und Luxemburg usw. Der Peterspfennig für die Armen?, fragt Fittipaldi. Der Vatikan besitz ca. 11 Milliarden Euro plus unzählige sehr teure Immobilien und Paläste. Fittipaldi deckte z.B. auch auf, dass ein hoher „Würdenträger“ der Kirche „mit Geld aus einem Krankenhaus ein Penthaus in Rom aufhübschte. Wir erinnern uns an den Unwürdenträger der Kirche in Limburg, den Herrn Franz-Peter Tebartz-van Elst, der auch gerne in einer Luxuswohnung leben wollte und sich dafür aus der Kirchenkassen viele Millionen herausnahm. Kurzum, die Liste der „Einzelfälle“ ist ellenlang.
Die Schlussfolgerung kann dann eigentlich nur heißen, das wirklich aufrichtige Gläubige diese Machtsysteme sofort verlassen müssen, wenn sie sich nicht mitschuldig machen wollen, denn solche intransparenten, undemokratischen auf finanzieller Macht basierender System produzieren strukturell, das heißt zwangsläufig, von Beginn an auch die allerübelsten Verbrechen wie Kindesmissbrauch. Hier würde nur die komplette Auflösung solcher System und die Verteilung ihres Reichtums an die wirklich Bedürftigen helfen. Von den Reichen zu den Armen und Ausgebeuteten, so wie es dir Kirche ja immer vorgibt zu wollen. Umverteilung eben. Ihr glaubwürdig Gläubigen, wann wollt ihr handeln? Noch ein paar Tausend Jahre warten?

Hintergrund
– Schoener, Johanna 2020. Ein Mensch, der bleibt. Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als arm oder armutsgefährdet. In: DIE ZEIT Nr. 54 vom 23.12.2020, Seite 36
– Haaf, Meredith 2020. Unter Ungleichen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 272 vom 24.11.2020, Seite 38; SZ SPEZIAL, Seite 10
– Purdy, Jedediah 2020. Die Welt und wir – Politik im Anthropozän. Berlin: Suhrkamp
– Freiberger, Harald 2020. Reiche Deutsche. Das Vermögen der Bürger ist selbst in der Pandemie gewachsen. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 266 vom 17.11.2020, Seite 26
– Sandel, Michael 2020. Vom Ende des Gemeinwohls – wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt. Frankfurt/M: S. Fischer
– Kreye, Andrian 2020: Die Lüge vom gemeinsamen Boot. Der Moralphilosoph Michael Sandel sieht in der selbstgerechten Meritokratie und dem immer tieferen Graben zwischen Arm und Reiche die zentralen Probleme unserer Zeit. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 219 vom 22.09.2020, Seite 9
– Zum „Einzelfall“ Tebartz-van Elst > https://www.swr.de/home/tebartz-van-elst-100.html