Was hat uns das Jahr 2020 gebracht? Welche Überschrift trägt es?
Ist Solidarität unter den Menschen immer noch Ausnahmeerscheinung? Oder: Der Stärkere setzt sich immer noch durch. Oder: Demokratie ist doch ein Schönwetter-Phänomen. Oder: Glauben und Nicht-Wissen feiern fröhliche Urständ.
Dass das Thema „Corona-Pandemie“ das Jahr dominiert hat, das ist wohl unstrittig. Es wurde sogar von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres“ erkoren.
Gestritten wird zuweilen heftig darüber, ob es die Corona-Pandemie überhaupt gibt, ob das Virus, wenn es denn da sein sollte, schlimmstenfalls einen Schnupfen verursacht oder ob diese Pandemie sich einreiht in die Pandemien von Aids, Ebola, Malaria, Masern, Pest, Sars, TBC, Pocken usw.
Ein weiteres zur Glaubensfrage gemachtes Thema ist die Frage, ob die Pandemie, die es ja angeblich nicht gibt, eine Strafe Gottes oder von wem auch immer ist, so die Geschichtenerzähler. Oder ob das zunehmende Überspringen von sehr schwer krankmachenden und tödlichen Viren eine Folge der hemmungslosen Habgier und Selbstsucht rücksichtsloser Menschen ist.
Im Alltag benutzen wir häufig das Verb „glauben“, wenn wir etwas nicht wissen, sondern bestenfalls eine unbestätigte Vermutung haben. Dieses Glauben ist also ein Art Vor-Urteil. Dass Vorurteile nichts Gutes verheißen, das wissen wir ziemlich genau durch wissenschaftliche Forschung. Der Glaube ist der Weg, das Inakzeptable unter Umgehung des Verstandes akzeptabel zu machen.
Der Streit zwischen Glaube und Wissenschaft rekurriert auf einem uralten Dissens der Menschheitsgeschichte. Als sich im Menschen das Großhirn zu entwickeln begann, also das Organ, womit wir denken können, trat eine neue Instanz in die Evolution ein. Bis dahin konnten die angehenden Menschen, der Sprache noch nicht so ganz mächtig, die Erscheinungen ihrer Umwelt nicht erklären. Da sich aber unsere Umwelt nicht unbedingt immer und überall für jeden rational offenbart, also es gab viel Unerklärliches, dachten sich die angehenden Menschen Geschichten aus, um diese Phänomene zu beschreiben. Das Unerklärliche macht bekanntlich vielen Menschen Angst. Sie wollen Sicherheit, keine Unsicherheit. Und die Geschichten, die gewitzte Leute erfanden (Schamanen, Gurus, Weise, Seher, Prediger, Messiasse, Scharlatane und Demagogen, Politiker usw.), versprachen vielen Menschen eine gewisse Sicherheit, also eine gewisse Stimmigkeit, die die angstmachenden Umwelterscheinungen ein bisschen „erklärten“. Allerdings nicht wirklich.
Die gewitzten Geschichtenerzähler verstanden es, geschickt das, was jeder wahrnehmen konnte, mit Ausgedachtem anzureichern und daraus einen scheinbar stimmigen Vorgang zu machen. Eine Fiktion also.
In der Heilkunst schrieb man solchen Leuten eine hohe Kompetenz zu, weil sie bei einem Kranken irgendetwas gemacht hatten, z.B. einen Spruch feierlich vorgetragen, um den krankmachenden bösen Geist zu verscheuchen, kombiniert vielleicht mit einem Kräutersud auf den Bauch des Kranken oder der Verabreichung von warmem Wein. Wurde der Kranke wieder gesund, dann lag es natürlich an der Kompetenz des Heilers und nicht daran, dass der Kranke vielleicht auch ohne das Brimborium wieder gesund geworden wäre. Vielleicht hatte aber auch der Kräutersud tatsächlich und der warme Wein in Kombination mit ehrlicher menschlicher Zuwendung eine gewisse heilende Wirkung. Das aber konnte erst eine wissenschaftlicher Untersuchungsmethode und Analyse belegen und erzeugte damit Wissen.
Wem das unheimlich war, wie z.B. über Jahrtausende den sog. Glaubensinstitutionen und ihren Anhängern, der verließ sich weiterhin aufs Glauben und nutzte die neue menschliche Ressource Denken mit Hirn nicht. En passant wäre zu fragen, wenn schon alles gottgegeben sein soll, warum er dann an viele Menschen diese Gabe des Hirns verschenkt hat, wenn sie sie doch nicht nutzen. Vielleicht dauert das aber auch noch ein paar Hundertausend Jahre. Die katholische Kirche brauchte ja auch Jahrhunderte, bis sie einsehen musste(!), dass die Erde nicht flach ist, nicht das Universum um sie dreht, und vielleicht kapieren die Oberpfaffen weltweit auch irgendwann einmal, egal welche Ideologie sie verteidigen, dass Frauen auch Menschen sind.
Leider gibt es auch unter Wissenschaftler Geschichtenerzähler, die z.B. vor Jahrzehnten einmal an fünf Kakerlaken forschten und heute als sog. Hirnforscher eine sehr ausgedachte Geschichte von der Evolution erzählen, statt sich auf wissenschaftlich gesichertes Wissen zu berufen. Es zeigt sich, dass in fortgeschrittenen Phasen der Idiotie auch gebildeter, intelligenter Menschen der Ideenmangel mit Ideologieüberschuss kompensiert wird.
Und eines dürfen wir nicht vergessen nach Ablauf eines Jahres unter einer Pandemie. Impfstoffe wurden in kürzester Zeit entwickelt Dank der Wissenschaft, nicht durch den Glauben.
An die Wissenschaft glauben kann man aber schon, ohne sie natürlich als Heilsbringer zu überhöhen und zu verklären, wie es der Leerzeilendauerproduzent und Textbausteinjogleur Gustav Lindner … äh Christoph … na egal, den Namen eines Hannebambels muss man sich nicht merken, tut. Wenn dieser Posterboyseppel glaubt, DIE Wissenschaft werde schon rechtzeitig einen rettenden Einfall gegen die Klimakrise erfinden, dann ist man schon ein wenig erstaunt darüber, wo überall Glaube statt Vernunft die Männchen … äh, Menschen … leitet.

Hintergrund
– Öhler, Andreas 2020. Von Mücken und Propheten. Verschwörungstheorien sind religiöser Urstoff. Der Glaube setzt da ein, wo unsere empirische Erfahrung nicht mehr hinreicht. In: DIE ZEIT Nr. 49 vom 26.11.2020, Seite 145
– Kreye, Andrian 2020. Wo ist die Linke? Impfgegner, Befindliche, Naturfreunde und Rechte: Seit Corona fehlt wer im großen Diskurs. Gegen Aberglauben mit Vernunft und Wissenschaft zu argumentieren, ist aussichtslos. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 285 vom 09.12.2020, Seite 11
– Kablitz, Andreas 2020. Der Vortrag der unser Denken für immer verändert hat. Er lehrte uns, dass die Wahrheit dessen, was wir sagen, nicht von und selbst abhängt: Vor 50 Jahren hielt Michel Foucault seine Antrittsvorlesung am Collège de France. In: DIE WELT vom 02.12.2020, Seite 21
– Hofmann, Siegried 2020. Biontech beantragt Zulassung in Europa. Das Mainzer Unternehmen und sein US-Partner Pfizer können ihren Wirkstoff nach einer Zulassung „innerhalb weniger Stunden“ ausliefern. Impfungen können bald starten. In: Handelsblatt vom 02.12.2020, Seite 18
– Probst, Maximilian/ Schnabel, Ulrich 2020. Nichts ist in Stein gemeißelt. Forscher widersprechen sich, Erkenntnisse ändern sich. Kann man sich auf die Wissenschaft überhaupt verlassen? Ein Erklärungsversuch. In: DIE ZEIT Nr. 32 vom 30.07.2020, Seite 25-26
– Deutsch, David 2009. Ein neuer Ansatz das Erklären zu erklären („Zehntausende von Jahren lang haben sich unsere Vorfahren die Welt durch Mythen zu erklären versucht und Veränderungen konnten nur sehr langsam Fuß fassen. Mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Methode veränderte sich die Welt binnen weniger Jahrhunderte. Warum? Der Physiker David Deutsch wagt einen feinsinnigen Antwortversuch. Zehntausende von Jahren lang haben sich unsere Vorfahren die Welt durch Mythen zu erklären versucht und Veränderungen konnten nur sehr langsam Fuß fassen. Mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Methode veränderte sich die Welt binnen weniger Jahrhunderte. Warum? Der Physiker David Deutsch wagt einen feinsinnigen Antwortversuch.“) > https://www.ted.com/talks/david_deutsch_a_new_way_to_explain_explanation?language=de#t-979979